In memoriam Thorleif
Als ich Ende 1995 in's Rechenzentrum kam, war Thorleif schon da - als studentischer Mitarbeiter und Bindeglied zu den "Künstlern" - im konkreten Fall Modedesignern. Diese hatten ein damals hochmodernes CAD Labor und Thorleif betreute die Systeme. Er war auch der Grund, warum die Künstler der damaligen FHTW sehr für das Rechenzentrum schwärmten, obwohl sie sonst eher schwierig waren.
Thorleif schwärmte für Maschinen - für neueste tollste Technik mit den innovativsten Features. Davon hatten wir in der Zeit im RZ viel und beinahe jeden Monat kam auch etwas Neues: Silicon Graphics, HP und SUN Maschinen (die "UNIX-Welt") waren zunächst seine Spielwiese. Hier kamen innerhalb der RZ-Mannschaft regelmäßig Konflikte hoch, weil die 'älteren', festangestellten Mitarbeiter(innen) den stetigen, schnellen Wandel nicht recht mitmachen wollten. Während sein Co-Student 'Lämmi' damals mit Arroganz konterte (und ich öfter schlichten musste), war Thorleif stets freundlich und langmütig - er teilte seine Kompetenz und Begeisterung. So kam es, dass er einige 'Alteingessene', die es eigentlich gewohnt waren, mit derselben Maschine viele Jahre zu verbringen, auf seine Seite ziehen konnte. Das wirkt - soweit ich es beobachten konnte - bis heute nach: Die Leute sind dem Wandel aufgeschlossen geblieben.
Thorleif brauchte dann eine neue Herausforderung und so arbeitete er mehr und mehr in der Netzwerktruppe mit. Praktisch war das oft so, dass wir am Abend eines erfüllten Tages zusammen am großen RZ-Tisch Pizza aßen ... und danach legten die Netzer los. Da viele Änderungen am laufenden Computernetz nicht während der allgemeinen Betriebszeit machbar waren, gingen sie oft abends in die Technikräume, um neue Geräte einzuschrauben oder bestehende umzukonfigurieren. Im Networking gab es noch abgefahrenere Maschinen, große Switches und superschnelle Router - sie alle hat Thorleif sehr schnell 'lieb gewonnen'. Insbesondere aber zeigte er stetig, dass man sich auf seine Kompetenz, sein Umsicht und auf seine Zuverlässigkeit blind verlassen konnte.
Weiter in den neunziger Jahren führten wir ein komplexes Netzwerkmanagement-System ein - das war damals der hipste Software-Schrei der Netzer. Da war Thorleif mit seinem Studium praktisch fertig und wir kamen gemeinsam zu dem Thema, dass er in seiner Diplomarbeit Erweiterungen für Spectrum, so hiess das System, programmieren könnte. Es war die Zeit der Modem und ISDN Internet Einwahldienste ... snafu war damals noch aktiv und wir hatten tausende Studierende und Mitarbeiter, die diesen Dienst nutzten. So entwickelte Thorleif ein Management-Modul für solche Einwahldienste - mit viel Liebe zum Detail. Ich zeige ausgewählte Ergebnisse noch heute in meiner Grundvorlesung.
Nach dem Diplom winkte die große Welt der Internet-Unternehmen - der "Internet-Hype" der späten Neunziger kochte gerade hoch. In wenigen Tagen war Thorleif vom Ober-Hipster-Start-UP Pixelpark aufgesogen, wo ich ihn auch bald besuchte. Lange Tische dicht an dicht - er saß da in den Moabiter Herlitzhöfen, genau eine Schulterbreite zum Arbeiten, in völliger Entpersonalisierung. Aber auch das konnte Thorleif nicht erschrecken. Kompetent, zuverlässig und vorausschauend hat er sich schnell zum Guru hochgearbeitet.
Wir trafen uns dann regelmäßig zur "Ex-RZ" Weihnachtsfeier. Dabei musste er sich immer wieder sorgenvoll kritische Fragen zu seiner Zukunft bei Pixelpark anhören. Thorleif war immer guten Mutes - ohne naiv zu sein - und irgendwann war von seinem Engagement beim BCIX die Rede. Das war eine neue, wirklich spannende Aufgabe.
In dieser Rolle habe ich nach Jahren des losen Kontakts wieder den Schulterschluss zu ihm gesucht, als wir über das Internet-Backbone zu forschen begannen. In 2008 - 10 Jahre nach seinem Diplom - saßen wir zum ersten Mal im Zwiebelfisch am Savignyplatz, um über ein gemeinsames Projekt zu sprechen. HAMcast wurde dann 2009 gefördert und seither saßen wir regelmäßig im Zwiebelfisch. Es war ein toller, fruchtbarer Austausch zwischen Theorie und Praxis, Fragen zu "Wie es ist" und "Was wäre wenn". Auch die Frage: "Was kommt morgen - im Internet". Nach HAMcast kam Peeroskop und wir setzten die Runden fort. Nach Peeroskop ist X-Check gekommen - wir haben es noch gemeinsam vorbereitet, doch nun müssen wir ohne den Rat und die fachliche Freundschaft von Thorleif klarkommen. Das wird mir schwer fallen.
Was uns immer noch verbunden hat? Vielleicht etwas Typisches, weil Unspektakuläres. Thorleif und ich wohnten in West-Berlin, das RZ lag im tiefen Osten. Da war es zunächst naheliegend, dass ich ihn auf dem Nachhauseweg im Auto mitnahm. So kam es, dass wir früh auch eine Plauderebene außerhalb des Berufsumfeldes entwickeln konnten. Irgendwie ist es so geblieben: Über die Jahre habe ich Thorleif immer und immer wieder nach Schöneberg "an die Litfaßsäule" gefahren. Und Plaudern ohne Maschinenzusammenhang fand meist im Auto statt.
Ruhe in Frieden.
Thomas Schmidt